Herausforderungen des Arbeitnehmerschutzes

Sicherheit am Arbeitsplatz ist heute eine Selbstverständlichkeit. Solche Bilder lösen daher mittlerweile ein tiefes Unbehagen aus:

Men taking a smoke break during construction of the Auckland Harbour Bridge, 1959 ; Quelle: u/RyanSmith to r/OldSchoolCool ttps://i.imgur.com/IVU3ZBH.jpg

Men taking a smoke break during construction of the Auckland Harbour Bridge, 1959 ; Quelle: u/RyanSmith to r/OldSchoolCool ttps://i.imgur.com/IVU3ZBH.jpg

Die Gründe für ein derartiges Verhalten sind vielschichtig und zum Teil auch in den einzelnen Personen zu suchen. Aus einem größeren Blickwinkel betrachtet, finden sich hier jedoch die vorherrschenden Werte in die Arbeitsleistung und die Geringschätzung eines einzelnen Menschen als Antrieb. Je mehr und je schneller die Arbeit geleistet werden kann, desto leistungsfähiger und wertiger ist der Einzelne. Der Eigenschutz gilt als „schwächlich“ und die Einhaltung des Arbeitsschutzes stört die Leistungsfähigkeit und die Zielvorgabe für den Tag.

Vor diesem Hintergrund stellt sich die Frage: wer nun gemäß unseren herrschenden Rechtsnormen die Verantwortung für den Arbeitsschutz und den Schutz des Individuums tragen muss?

Eine kleine Geschichte des Arbeitsschutzes

Der Arbeitsschutz, die Arbeitsbedingungen und die generelle Idee der Verantwortung der Besitzenden für die Menschen haben eine lange Tradition in Deutschland und Europa. Dies zeigt sich in den verschiedensten historischen Entwicklungen unserer gesellschaftlichen Normen und gipfelt in dem wertvollen Artikel 1 des GG „Die Würde des Menschen ist unantastbar“. Dass Besitztum verpflichtet, ist ein Dogma das sich ebenfalls in Artikel 14 Absatz 2 „Eigentum verpflichtet“ des GGs wiederfindet und sich in der Entwicklung des Arbeitsschutzes wiederspiegelt.

 „Die Industrialisierung im ausgehenden 19 Jahrhundert bringt eine neue gesellschaftliche Klasse hervor, die der Lohnarbeiter. Technische Entwicklungen, vor allem die Dampfmaschine und der automatische Webstuhl haben die Arbeitsbedingungen verändern. Da die neuen Prozesse keine besondere Ausbildung erfordern, werden auch Kinder eingestellt. 1839 schreitet Preußen erstmals ein. Arbeit wird für Kinder unter 9 Jahren verboten. Bis zum 16. Lebensjahr wird die Arbeitszeit auf 10 Stunden pro Tag begrenzt. Die Arbeitsbedingungen sind nach wie vor katastrophal. Unfälle häufen sich. Wer sich verletzt, ist nicht abgesichert und verliert sein Einkommen. Um eine Entschädigung zu bekommen, muss dem Arbeitgeber ein Verschulden nachgewiesen werden, was nur selten gelingt. <...>

Die nächste Errungenschaft, nur ein Jahr später, ist das Unfallversicherungsgesetz vom 6. Juli 1884. Es regelt die Unfallrente, die medizinische Heilbehandlung und vor allem die Unfallverhütung. Träger der Unfallversicherung sind die neugegründeten Berufsgenossenschaften. Die kollektive Haftpflichtversicherung der Unternehmer löst die private Haftpflicht des Einzelnen Arbeitgebers ab. <…> Die Zahl an Gesetzen, Vorschriften, Richtlinien, technischen Anleitungen, Normen und Regeln nimmt ständig zu. <…>

Eines der wichtigsten Elemente des Arbeitsschutzes markiert bis heute das Arbeitssicherheitsgesetz von 1973. Betriebe sind von nun an gesetzlich dazu verpflichtet Betriebsärzte einzustellen und Fachkräfte für Arbeitssicherheit als Berater in die betriebliche Sicherheitsarbeit einzubeziehen.

Seit 1996 ist das Arbeitsschutzgesetz in Kraft. Es regelt die Aufgaben des Arbeitgebers und Arbeitnehmers im deutschen Arbeitsschutz. Zentrales Instrument des Arbeitsschutzgesetzes ist die Gefährdungsbeurteilung. Heute müssen Arbeitgeber dafür Sorge tragen, dass die Beschäftigten vor Chemikalien, Krankheitserregern, Gefahrstoffen, Lärm, technischen Risiken, wie schwere Maschinen oder sonstige technische Arbeitsmittel sowie anderen Gefahren, die sich aus der Arbeit ergeben können, geschützt sind. <…>

Seit 2013 sind auch psychische Belastungen (Seelen Schmerz[7]), die am Arbeitsplatz auftreten können, im Arbeitsschutzgesetz verankert. Sie müssen nun ebenfalls im Rahmen einer Gefährdungsbeurteilung beurteilt und bewertet werden.

Fazit: Die Standards die heute europaweit für Arbeitsschutz und Arbeitssicherheit gelten, zählen zu den großen Errungenschaften der modernen Wirtschaftswelt.“[8]

[7] Weiterlesen: https://www.wissen-gesundheit.de/Praevention-Therapie/Schmerztherapie/Seelische-Schmerzen

[8] Quelle: TÜV Rheinland / https://youtu.be/V_nQOFzYQjc

Die Durchsetzung der Einhaltung des Arbeitsschutzes ist Aufgabe der Arbeitsgerichte.  Handlungen, Maßnahmen und Änderungen durch den Arbeitgeber müssen sich nach BetrVG §80 (1) 1.[9] im Rahmen aller geltenden Vorschriften bewegen.  Dies zu überwachen ist Aufgabe des Betriebsrats und der Arbeitgeber muss ihm dafür alle notwendigen Informationen zur Verfügung stellen.

[9] Quelle: https://www.gesetze-im-internet.de/betrvg/__80.html

„Für Arbeitgeber spielt das Thema Arbeitssicherheit eine der zentralen Rollen im Geschäftsleben. Denn mangelnde Sicherheit am Arbeitsplatz führt nicht nur zu Problemen bei den regelmäßigen Kontrollen der Betriebe, sondern kann sich im Falle eines schweren Unfalls zu einer echten Krise ausweiten. Denn dann steht gegebenenfalls die Frage im Raum, wer für die zum Teil immens hohen Folgeschäden aufkommt.“[10]

[10] Quelle: https://www.gmbhchef.de/wie-gewaehrleiste-ich-den-arbeitsschutz-meiner-angestellten/

Der seit 2013 im Arbeitsschutzgesetz verankerte Schutz vor den psychischen Belastungen (Seelen Schmerz), die am Arbeitsplatz auftreten können ist mittlerweile ein Rechtsanspruch. Auch betont der Gesetzgeber deutlich, dass Arbeit menschengerecht zu gestalten ist. Dem Wissensarbeiter selbst kommt hier keine Verantwortung zu, sich selbst zu schützen. Der Gesetzgeber legt hier die Verantwortung für den Arbeitsschutz dem Arbeitgeber auf. Hierbei treten heutzutage die seelischen Belastungen des Wissensarbeiters besonders in den Vordergrund. Allerdings mangelt es immer noch sehr häufig an seiner tatsächlichen Verwirklichung wegen dem in der Gesellschaft vorhanden Vorurteilen der seelischen Verletzung:

„Wir sind öfter psychisch verletzt als körperlich. Das sind Verletzungen wie Misserfolg, Zurückweisung oder Einsamkeit. Wenn wir das ignorieren, können sie sich verschlimmern und unser Leben dramatisch beeinflussen. Auch wenn es wissenschaftlich fundierte Methoden gibt, um diese psychischen Verletzungen zu behandeln, tun wir es nicht. Es kommt uns nicht einmal in den Sinn, dass wir das sollten. "Oh, du fühlst dich niedergeschlagen? Reiß dich zusammen, das ist nur im Kopf." Sagen Sie das zu jemandem mit einem gebrochenen Bein: "Oh, geh einfach weiter, das ist nur etwas am Bein." (Lachen) Wir müssen die Lücke zwischen körperlicher und psychischer Gesundheit schließen. Es wird Zeit, beide gleichberechtigt zu behandeln, wie Zwillinge.“[11]

[11] Quelle: https://www.ted.com/talks/guy_winch_the_case_for_emotional_hygiene. Guy Winch, Minute 02:33

Betriebsverfassungsgesetz

Wissenschaftliche Studien von z.B. Professor Peter Kruse zeigen, dass sich die Wertesysteme der Gesellschaft verändern und dass eine flexible Arbeitszeitgestaltung immer mehr in den Vordergrund rückt[12]. Die Schlagworte lauten hier Work-Life-Balance, Mobile Arbeit und Innovationsfähigkeit der Wissensarbeiter und nicht zuletzt Spaß an der Arbeit.  Der Wissensarbeiter möchte nicht mehr als reiner Produktionsfaktor gesehen werden:

[12] Quelle: Prof. Peter Kruse, Impulsreferat auf dem Kongress ZEITZEICHEN am 15. Februar 2015 in Berlin. https://youtu.be/3mpgYBKig5M

Nun, zunächst ist der Kollege seinem Vorsatz treu geblieben. Aber dann hat er zu Hause gesessen und daran gedacht, dass seine Kolleginnen und Kollegen seine Arbeit mitmachen – seinetwegen! Weil er sich an die tariflich vereinbarten Arbeitszeiten hält, machen sie seine Arbeit! Und da er genau wusste, wie viel Arbeit das war, hatte er ziemlich genaue Vorstellungen davon, was das für die anderen bedeutete. Das hat er nicht lange durchgehalten, und nach einer Woche hat er wieder genauso lange gearbeitet wie vorher, d.h. er hat das Gegenteil dessen getan, was er selbst für richtig hielt, weil er ein schlechtes Gewissen gehabt hat gegenüber den anderen. Ein Jahr später hat er ein Angebot zum vorzeitigen Ruhestand angenommen. Er hat das Problem nicht gelöst. Er ist jetzt nicht mehr Mitarbeiter bei IBM.[13]

[13] Quelle: http://www.cogito-institut.eu/Pages/Krokodil-aspx/

Der Wissensarbeiter möchte also seine Arbeitssituation aktiv selbst gestalten. Arbeitgeber die dies ihren Mitarbeitern bieten können, haben erhöhte Erfolgschancen die knappe Ressource der Experten mit ihrem Know-how in die eigene Firma zu ziehen.

Der Arbeitgeber ist für alle Belange des Arbeitsschutzes verantwortlich. Dies ist originär begründet. Er kann diese Verantwortung im Rahmen der Pflichtenübertragung schriftlich an ihm unterstehende Mitarbeiter delegieren, welche ihrerseits die Aufgabe eines Vorgesetzten wahrnehmen. Hauptaufgaben im Arbeitsschutz bestehen aus der Ermittlung und Beurteilung von Gefährdungen und Umsetzung der sich daraus ableitenden Schutzmaßnahmen. Der Arbeitgeber hat sich bei mangelnder Fachkunde fachkundig beraten zu lassen.

Ein wichtiger Aspekt der Betriebsratsarbeit und deren häufig missverstandenen Aufgabe liegt in der reinen Überwachungsfunktion. Häufig wird die Aufgabe des Betriebsrates darin gesehen, die Arbeitnehmer vor potentiellen Gefahren und drohender Unbill zu beschützen. So könnte die in §111 Ziffer 5 des BetrVG formulierte Informationspflicht des Arbeitgebers bei Einführung grundlegend neuer Arbeitsmethoden dahingehend missverstanden werden, dass der Arbeitnehmer hier vor der grundlegend neuen agilen Arbeitsweise zu schützen sei:

„In Unternehmen …  hat der Unternehmer den Betriebsrat über geplante Betriebsänderungen, die wesentliche Nachteile für die Belegschaft oder erhebliche Teile der Belegschaft zur Folge haben können, rechtzeitig und umfassend zu unterrichten und die geplanten Betriebsänderungen mit dem Betriebsrat zu beraten.“ [14]

[14] Quelle: BetrVG § 111

Interessant an dieser Stelle ist jedoch, dass der Betriebsrat keinerlei Schutzfunktionen hat. Vielmehr sieht der Gesetzgeber den Betriebsrat in einer Beratungsfunktion gemäß §90 BetrVG z.B. bei Änderungen „von Arbeitsverfahren und Arbeitsabläufen“ (Ziffer  3), wobei dem Arbeiter eine Informationspflicht auferlegt ist und er sich mit dem Betriebsrat über diese Maßnahmen beraten muss und dabei „auch die gesicherten arbeitswissenschaftlichen Erkenntnisse über die menschengerechte Gestaltung der Arbeit“ zu berücksichtigen“ sind. Dem Betriebsrat obliegt gemäß BetrVG §80 Ziffer 1, eine Überwachungsfunktion und diese ist im Sinne einer Mitwirkung auszuüben (Ziffer 2). Es ist seine Aufgabe nach §80 Ziffer 9 den Arbeitsschutz zu fördern.

Kommt der Betriebsrat zu der Überzeugung, dass

 

„… die Arbeitnehmer durch Änderungen der Arbeitsplätze, des Arbeitsablaufs oder der Arbeitsumgebung, die den gesicherten arbeitswissenschaftlichen Erkenntnissen über die menschengerechte Gestaltung der Arbeit offensichtlich widersprechen, in besonderer Weise belastet…“[15]

[15]  BetrVG §91 Absatz 1

sind, so kann er Maßnahmen zur Abwendung, Milderung oder zum Ausgleich der Belastung verlangen. Kommt hier keine Einigung zustande, steht der Weg über die Einigungsstelle offen, deren Spruch die Einigung zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat ersetzt.

Die Sichtweise einer dem Betriebsrat innewohnenden Schutzfunktion ist für ihn und seine Arbeit grundsätzlich hinderlich. Auch eine auf dieser falsch verstandenen Aufgabe aufbauende weiter geführte Haltung dahingehend, hier den Arbeitgeber zu richten oder aktiv gegen ihn und seine Maßnahmen vorzugehen, führt lediglich dazu, dass die nach BetrVG §74 gegebene vertrauensvolle Zusammenarbeit hinfällig wird.

Auch möchte der Gesetzgeber dem Betriebsrat diese Schutzfunktion überhaupt nicht auferlegen, denn er ist ja ebenfalls ein Teil des Betriebes selbst und würde sich möglicherweise in dieser Funktion zum Teil selbst schaden. Für die Durchsetzung der geltenden Rechtsnormen, die der Betriebsrat überwacht, stehen ihm entsprechende vom Betrieb unabhängige Rechtsinstitutionen zur Verfügung.

Einer Einführung agiler Methoden sollten sich Betriebsräte also nicht verschließen, sondern diese begrüßen, denn bei der Einführung agiler Methoden kann der Betriebsrat auf die Einhaltung der fundamentalen agilen Werte pochen. Diese stellen ein Mindestmaß eines verantwortlichen seelischen Schutzes von Wissensarbeiter dar. Jedoch bedarf es hierfür über das genügende Wissen, welche dieser Werte diesen Schutz implementieren.

Thomas Winz