Irrationale Verhältnisse oder warum Normenerfüllung verrückt macht

Zitat ist aus dem Buch “Das lange 19.te Jahrhundert” von Franz J Bauer entnommen:

“Wie kommt es aber, dass ein auf Freiheit und Verantwortlichkeit gegründetes Handlungsprinzip im Ergebnis ins Gegenteil umschlagen kann? Gelderwerb als Zwecke der materiellen Sicherung des Lebens etwa ist rational, der mit unerbittlicher Konsequenz rationalisierte Gelderwerb um seiner selbst willen, als Selbstzweck, aber ist spezifisch irrational. Rationalität des Handelns heisst zunächst, einen durch Werte und Bedetuungen gesetzten Zweck in freier Erwägung und Wahl der dazu geeigneten Mittel zu verfolgen. Wer in Abwägung der Erfolgschancen die gegebenen Mittel auf den vorgesetzten Zweck hin auswählt und zum Einsatz bringt, handelt rational. Die Irrationalität, die sich im Prozeß der Rationalisierung einstellt, entsteht durch die Verkehrung des grundlegenden Verhältnisses von Mittel und Zweck. Was ursprünglich bloßes Mittel zur Erreichung eines autonomen Zwecks war, wird im Handlungsvollzug selbst zum Zweck und verliert damit seinen ursprünglichen rein funktionalen Sinn in einer an den Bedürfnissen orientierten Zweckrationalität. Diese Verkehrung kennzeichnet nach Weber die gesamte moderne Kultur, deren Einrichtungen und >betrieblichen Abläufe< so organisiert sind, dass sie nun den Menschen ihrerseits einschließen und bestimmen. Der Mensch muss sich der verselbständigten Rationalität der Institutionen unterwerfen, die ihrer ursprünglichen bloß dienenden Mittel-Funktion unversehens entwachsen und zu herrschenden Zwecken geworden sind. In der Tat zeigt sich in vielen Bereichen des modernen Lebens, wie ein an sich rein zweckrationale angelegter Handlungszusammenhang

sich mit schicksalhafter Notwendigkeit in sein Gegenteil verkehrt und die sinnlose >Irrationalität< eigenständig und eigenmächtiger >Verhältnisse< hervorbringt, die nun über das menschliche Verhalten herrschen. Das rationale Durchorganisieren der Lebensverhältnisse erwirkt aus sich selbst heraus die irrationale Eigenmacht der Organisation.


Damit sind fundamentale Erfahrungen des Modernisierungsprozesses ausgesprochen, die sich über das 19. Jahrhundert hinaus bis in unsere Tage ungebrochen fortsetzen.“

Franz J.Bauer
Buch
Das >lange< 19. Jahrundert
Seite 44
ISBN: 978-3150187708


Thomas Winz